„Die Fakten müssen stimmen“: Masterarbeit zu Vertrauen und Transparenz im öffentlich-rechtlichen Rundfunk

2022 erschütterten Skandale den deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk: Korruptionsvorwürfe gegen die Intendantin des rbb und mögliche politische Einflussnahme sorgen für Misstrauen. Max Sprengart hat diese Skandale zum Anlass genommen, um das Vertrauen in die öffentlich-rechtlichen Medien zu untersuchen. Im Interview spricht er über seine Forschung und Ergebnisse seiner Masterarbeit „Vertrauen von Rezipient:innen in den öffentlich – rechtlichen Rundfunk Deutschlands nach Bekanntwerden der aktuellen Vorwürfe gegen die ARD“.

Groß-Hohnacker: Herr Sprengart, Sie haben in ihrer Masterarbeit das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk untersucht. Was haben Sie dabei herausfinden können? 

Sprengart: Meine Forschung hat gezeigt, dass bei den Befragten das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk hoch ist. Diesen Trend kann man auch aus repräsentativen Studien ablesen. Interessanterweise gibt es Unterschiede zwischen den verschiedenen öffentlich-rechtlichen Sendern und Formaten. So sagen die Befragten, dass sie der Tagesschau zu rund 80 Prozent vertrauen, während die Werte für das ZDF und den SWR etwas niedriger liegen. Der rbb erzielte in meiner Untersuchung hingegen mit etwa 50 Prozent Vertrauenszuschreibung die niedrigsten Werte. Dieser war während meiner Untersuchung seit 2022 von Skandalen betroffen. Im Sommer 2022 berichteten verschiedene Medien über mögliche Verfehlungen der damaligen rbb-Intendantin Patricia Schlesinger. Erster diskutierter Vorwurf war ein angeblicher Beratervertrag für Schlesingers Ehemann. Weitere Vorwürfe, wie die Abrechnung von Spesen für private Abendessen, sowie Berichte über teure Büroausstattungen, Massagesitze, und die Nutzung eines luxuriösen Dienstwagens, folgen schnell. Die Berichterstattung über diese mutmaßlichen Verfehlungen waren für mich der Anlass für meine Untersuchung. 

Masterarbeit untersucht Einfluss der öffentlichen Debatte über Verfehlungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf Vertrauen

Groß-Hohnacker: Welche Skandale haben Sie noch dazu veranlasst?

Sprengart: Nach den Vorwürfen gegen Patricia Schlesinger wurden auch journalistische Vorwürfe laut. Insbesondere beim NDR wurde der Landesfunkhaus-Direktorin Sabine Rossbach vorgeworfen, die Berichterstattung aus privaten Gründen beeinflusst zu haben. Zudem sollen Journalist*innen beim NDR bestimmte Berichte verhindert haben. Trotz interner Untersuchungen, die einige Vorwürfe entkräfteten, dürfte das Image der ARD massiv gelitten haben, was ihre Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit in Frage stellte. 2022 verging gefühlt kein Tag, an dem nicht ein Artikel mit neuen Vorwürfen, teilweise auch reißerischen Schlagzeilen, veröffentlicht wurde.

Mein Ziel war es deshalb, zu untersuchen, welchen Einfluss die gesellschaftliche, mediale und politische Debatte über mögliche Verfehlungen auf das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk hat. In manchen Artikeln wurde behauptet, dass Vertrauen verloren gegangen sei und teilweise sogar gefordert, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abzuschaffen. Politik und Gesellschaft haben intensiv darüber diskutiert. Vorherige Studien haben zwar ein hohes Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gezeigt, aber es gab noch keine umfassende Untersuchung nach diesen Skandalen. Daher habe ich mich entschieden, das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk genauer zu analysieren.

Groß-Hohnacker: Wie haben Sie das Vertrauen der Befragten gemessen?

Sprengart: Ich habe eine quantitative Befragung online durchgeführt, um den Befragten Anonymität zu gewährleisten und die Schwelle für die Beantwortung der Fragen zu senken. 

Um das Vertrauen messen zu können, habe ich zwei Methoden angewandt: die direkte Abfrage, wie hoch das Vertrauen der Personen in Prozent ist, und eine indirekte Abfrage, bei der ich nicht direkt nach dem Vertrauen gefragt habe, sondern es über verschiedene Punkte aus der Fachliteratur heraus operationalisiert habe. Indirekte Vertrauensmessung funktioniert zum Beispiel, indem man fragt, wie sehr die Befragten Informationen aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk für bestimmte Entscheidungen nutzen würden – etwa bei der Wahlentscheidung. 

Die meisten Forschungen fragen direkt nach dem Vertrauen. Mir war es wichtig, näher am theoretischen Konstrukt zu messen, um das Konstrukt Vertrauen präziser zu erfassen. Die Definition von Vertrauen kann von Person zu Person schließlich stark variieren. In meiner Promotion arbeite ich daran, ein Instrument zu entwickeln, das mediales Vertrauen noch besser über indirekte Messungen erfasst.

„Blindes Vertrauen wäre problematisch“: Max Sprengart über die Ergebnisse seiner Masterarbeit

Groß-Hohnacker: Wie interpretieren Sie die bei Ihrer Untersuchung herausgekommene hohe Vertrauensrate von etwa 70% der Befragten in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk?

Sprengart: Ich habe die Menschen gefragt, wie hoch ihr Vertrauen ist. Die Befragten haben auf die Frage „Wie hoch ist ihr Vertrauen in den ÖRR in Deutschland?“ im Durchschnitt etwa 70 Prozent geantwortet. Auch andere Studien haben bei den Befragten ein eher hohes Vertrauen festgestellt. Obwohl die Studien nicht direkt vergleichbar sind, zeigen sie ähnliche Tendenzen.

Hier gelangen Sie zu den Ergebnissen zum Vertrauender Befragung „Journalismus und Demokratie“

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat die Aufgabe, ein Programm für alle Menschen in Deutschland anzubieten. So steht es in den Rundfunkstaatsverträgen. Demnach müsste er das Ziel haben, auch alle zu erreichen. Wenn die Befragten sagen, dass sie dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu 70 Prozent vertrauen, könnte das ein guter Wert sein, da in einer Demokratie auch Skepsis wichtig ist. Blindes Vertrauen wäre problematisch; eine gesunde Mischung aus Vertrauen und kritischer Betrachtung ist wünschenswert.

Eine Studie von Publizistikwissenschaftler Nikolaus Jackob und seinen Kolleg*innen von der Uni Mainz aus dem Jahr 2019 konnte in einer Langzeitbetrachtung feststellen, dass es über den Lauf der Jahre eine gewisse Polarisierung an den Rändern gibt, also mehr Menschen, die entweder hohes oder niedriges Vertrauen haben, während die Mitte kleiner wird. Theoretisch betrachtet ist es in der Demokratie jedoch gerade dieses mittlere Vertrauen, das wir anstreben sollten. Eine lebhafte Diskussion, sowie eine sachliche und kritische Debatte gehören ja zu den Grundwerten des demokratischen Zusammenlebens. Gleichzeitig braucht es ein Grundvertrauen in Institutionen, denen das Gesetz zuschreibt, freie Meinungsbildung durch Information zu ermöglichen – dazu gehört der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Ohne Grundvertrauen ist diese Aufgabe nicht erfüllbar.

Quantitative Befragung: Faktentreue und Dialog sind wichtig für das Vertrauen in den ÖRR

Groß-Hohnacker: Sie haben sich auch angeschaut, wie bestimmte Qualitätsmerkmale in der Berichterstattung das Vertrauen beeinflussen können. Was war den Befragten besonders wichtig?

Sprengart: Für die Befragten war besonders wichtig, dass die Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks korrekte Fakten darstellt. Das ist auch das, was viele Menschen kritisieren. Wenn man sich zum Beispiel die Kommentarspalten unter der Berichterstattung öffentlich-rechtlicher Medien anschaut. 

Wenn die Befragten den Eindruck haben, dass die Fakten korrekt dargestellt werden, steigt ihr Vertrauen in das Medium. Wobei dieser Trend auch umgekehrt bestehen könnte: Je höher das Vertrauen, desto eher der Eindruck, dass Fakten korrekt dargestellt werden. Das Gefühl, dass die Informationen richtig sind, hat jedenfalls aber einen signifikanten Zusammenhang mit dem Vertrauen in die Berichterstattung, auch wenn es schwierig ist, die tatsächliche Genauigkeit der Informationen objektiv zu überprüfen. 

Ebenso steigt das Vertrauen, je mehr die Befragten einen Dialog bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten beobachten. Auch hier könnte die Kausalrichtung des Zusammenhangs umgekehrt bestehen. 

Groß-Hohnacker: Also ist der Austausch mit dem Publikum für die Befragten wichtig?

Sprengart: Sehr. Demokratie lebt vom Dialog, und damit lebt auch der Journalismus davon. Ich glaube, wir müssen noch mehr ins Gespräch kommen, Kritik aushalten und uns ihr stellen. Es gibt bereits viele Ansätze dafür, mit verschiedenen Formaten, die den Dialog fördern. Diese Ansätze müssen jedoch noch stringenter weiterverfolgt und durch neue Ideen ergänzt werden.

Vertrauen durch Kritik und Transparenz

Groß-Hohnacker: Wie kann der öffentlich-rechtliche Rundfunk mehr Transparenz schaffen, um die politische Unabhängigkeit seiner Berichterstattung deutlicher zu machen?

Sprengart: Vertrauen entsteht oft durch kritische Berichterstattung. Wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk kritisch über Regierung und Wirtschaft berichtet, kann das Vertrauen fördern. Die Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist in weiten Teilen kritisch gegenüber Politik und Wirtschaft. Das Problem ist eher, transparent zu machen, dass die Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auch wirklich unabhängig ist. 

Deshalb ist es wichtig, mehr Einblick zu geben. Wie wird berichtet? Wie recherchieren Journalist*innen in Deutschland? Was waren die Quellen? Je mehr Transparenz man schafft, desto mehr ist auch wahrnehmbar, dass die Fakten stimmen. Ob man dann alle Menschen überzeugen kann, das müsste man separat untersuchen. 

Groß-Hohnacker: Sie sprechen von mehr Transparenz: Was können öffentliche Rundfunkanstalten noch lernen, um das Vertrauen der Zuschauer*innen zu erhöhen bzw. zu halten?

Sprengart: Die Fakten müssen stimmen. Es ist sehr wichtig, viel Aufwand in eine sehr gute und fundierte Recherche zu investieren und sich gut beraten zu lassen. Das heißt zum Beispiel: Wenn ich eine Datenrecherche mache, Wissenschaftler*innen einzubeziehen, mit denen hypothesengetrieben zu arbeiten, Hypothesen zu verifizieren, zu falsifizieren und erst danach in die Berichterstattung zu gehen.

Reißerische Berichterstattung sollte vermieden werden– auch wenn sie Klicks generiert. Der unter Journalist*innen bekannte Spruch „Be first, but first be right“ gilt: Es ist wichtig, präzise und verlässlich zu berichten, auch wenn dies bedeutet, sich etwas Zeit zu nehmen. Für den schnellen Nachrichtenbereich sollte gelten, dass bei zeitkritischen Meldungen Transparenz gewahrt wird. Wenn Informationen unvollständig oder unsicher sind, sollte dies offen kommuniziert werden, zum Beispiel durch Formulierungen wie „mutmaßlich“ oder „laut aktuellen Quellen“. 

Zur Person

Max Sprengart ist als Referent des Programmdirektors beim SWR tätig. Zuvor hat er als Redakteur und Moderator bei SWR 1 gearbeitet.  Zurzeit promoviert er am Institut für Journalistik an der TU Dortmund bei Michael Steinbrecher und Günther Rager.

Vorwürfe gegen den ÖRR

2022 häufen sich die Vorwürfe gegen den deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Eine rbb-Intendantin, die ihrem Ehemann offenbar einen lukrativen Beratervertrag verschafft. Beim NDR soll die Hamburger Landesfunkhausdirektorin Sabine Rossbach Kund*innen der PR-Agentur ihrer Tochter bevorzugt behandelt haben. Zudem wird in Kiel beim Sender politische Einflussnahme auf die Berichterstattung vermutet.

Beitragsbild: wellphoto/Shutterstock.com

 

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